Die beobachteten Beobachter

Am 23.07.2015 schreibt der Tages Anzeiger:

Von einem Fichenskandal war in Bülach die Rede, als der Stadtrat eine neue politische Gruppe observieren liess. Nun liegt das umstrittene Monitoring dem Tagesanzeiger.ch/Newsnet vor. Bilanz: rechtlich heikel, inhaltlich aber harmlos.

Von «unschönen Tönen älterer Herren» war im «Zürcher Unterländer» im Sommer 2013 die Rede. Die eben gegründete Bürgervereinigung «Beobachter der Stadt Bülach» BSB hatte begonnen, den Stadtrat heftig zu kritisieren. Das Gründungsteam bestand aus den beiden Alt-Stadträten Bruno Wermelinger und Wilfried Meier sowie Christian Weber. «In Bülach werden Steuergelder verpufft», stand etwa auf einem Flyer, der an 9000 Haushaltungen in Bülach verteilt wurde. Von Fehlplanungen und Bürokratieausbau war die Rede. Die alten Herren kritisierten Führung und Teamgeist des Stadtrats. Im März 2014 standen Wahlen an.

Da entschied sich der amtierende Stadtrat zu einer Massnahme, die bis heute zu reden gibt. Er engagierte eine Zürcher Kommunikationsfirma und beauftragte diese mit einem sogenannten Monitoring, wie das Instrument offiziell heisst. Das Büro sammelte von August bis Dezember 2013 die medialen Aktivitäten – vom Blog bis zum Leserbrief – der BSB, ihrer Exponenten und Sympathisanten. Darauf gab das Büro dem Stadtrat Handlungsempfehlungen im Umgang mit der neuen Partei ab. Diese hätten dem Stadtrat erlaubt, «medial und kommunikativ richtig zu agieren und zu reagieren und damit die Beobachtungen der BSB korrekt einzuordnen», schrieb Stadtschreiber Christian Mühlethaler im August 2014 – als der Schaden längst angerichtet war.

Heute, wo Polizeidirektor Mario Fehr unter Druck steht, weil er Trojanersoftware* gekauft hat, um in fremde Handys einzudringen, wirkt das Bülacher Monitoring etwas anachronistisch. Das Büro machte nichts anderes, als Zeitungsartikel, Facebook-Einträge, Leserbriefe und Websites zu lesen, zu erfassen und zu analysieren.

Nur durch Zufall aufgeflogen

Beide Aktionen flogen nur durch einen Zufall auf. Fehrs Trojaner wurde gehackt – und im Falle Bülach fand ein im März neu gewählter BSB-Gemeinderat bei der Rechnungsprüfung einen Beleg über 9000 Franken samt Beschreibung. Darin stand unter anderem «Verfolgung der Aktivitäten der BSB» und «Mail-Ausfälligkeiten von Daniel Wülser». Wülser ist der Bülacher GLP-Präsident und wurde 2013 in den Gemeinderat gewählt. GLP und BSB bilden eine Fraktionsgemeinschaft mit je zwei Gemeinderäten.

Wülser, von der BSB informiert, stellte beim Stadtrat gemäss Datenschutzgesetz eine Anfrage zur Einsicht – und erhielt eine Kopie seines Eintrags im Monitoring. «D. Wülser scheint die Gründung der BSB zu begrüssen», heisst es darin. Begründung: «Like beim BSB-Link auf Facebook.» Dafür, dass er «vom Stil zur BSB passt», spreche auch, dass er im Meinungsforum auf der BSB-Website mehrere Beiträge verfasst habe. Zur Herausgabe seines Eintrags sagt Wülser heute: «Das war peinlich für den Stadtrat, auch weil es nun mit der Geheimniskrämerei fertig ist.» Mehr ­allerdings ärgere ihn, so Wülser, die Verschwendung von Steuergeldern.

Datenschützer kritisiert Bülach

Über einen befreundeten SVP-Politiker fand Wülsers Auszug aus dem Monitoring samt Auftrag der Stadt offenbar den Weg in die «NZZ am Sonntag» vom 10. August 2014. Und das war erst recht schlecht für den Stadtrat. Denn die Zeitung geizte nicht mit Qualifikationen: «Bespitzelung, Aushorchen, Schnüffelaffäre» und dem Vergleich mit einer Strategie, «die in ihren Grundzügen an Methoden von Sicherheitsdiensten erinnert». Agentur und Stadtrat erreichten über einen Anwalt die Streichung der brisantesten Passagen in der Medien­datenbank. Ihre Argumente: Die Zeitung habe sich nur auf einen einzigen, winzigen Eintrag – denjenigen von Wülser – im ganzen Bericht gestützt.

Die Auseinandersetzung zwischen NZZ-Verlag einerseits sowie Stadtrat und Kommunikationsagentur andererseits wurde durch den kantonalen Datenschützer weiter befeuert. Bruno Baeriswyl nämlich erstellte auf Bitte der Stadt Bülach im Sinne einer Drittmeinung einen Bericht zur Abgrenzung zwischen Monitoring und Überwachung. Seine Bilanz: Das Monitoring der Stadt Bülach sei «nicht verhältnismässig», und es gehöre nicht zu den Aufgaben einer Exekutive, Informationen über eine politische Gruppierung und deren Wahlchancen zusammenzutragen. Der Stadtrat habe neutral und sachlich zu informieren. Möglich sei lediglich ein Medienmonitoring zu einem Sachthema, zum Beispiel zum Bau einer Turnhalle. Der Datenschützer verlangte, dass der Bericht «physisch vernichtet und elektronisch gelöscht» werde.

Bülach ist Seldwyla

«Büüli-Gate» wurde für den Stadtrat ­unter dem neuen Präsidenten Mark Eberli (EVP) zur Belastung, Bülach war nun Seldwyla – wie es seit Gottfried Kellers Novellen ohnehin vermutet wird. Die NZZ legte ein Scheit nach, schrieb von «Stasi-Methoden» und zog einen Vergleich mit Subversivenjäger Ernst Cincera. Der Stadtrat verteidigte sich nach Kräften. Seine Argumente: Die BSB hätte einen Wahlkampf mit harten Bandagen geführt und dabei «schädigende Falschinformationen» gestreut. Der Stadtrat habe deshalb eine erfahrene Person im Kommunikationsbereich zugezogen, um eine Strategie zu entwickeln, damit sich die Situation beruhige. «Das hat sich ausbezahlt», schrieb Stadtpräsident Eberli an die BSB.

Nun verlangte die «NZZ am Sonntag» Einsicht in das Monitoring, was ihr der Stadtrat verwehrte. Der Bezirksrat verfügte am 20. Mai, dass das Monitoring der Zeitung sowie den Betroffenen bis Ende Juli in anonymisierter Form aus­gehändigt werden muss. Das öffentliche Interesse sei höher zu gewichten als jenes der Verwaltung. Der Bezirksrat kritisierte zudem, dass für das Monitoring kein Beschluss des Stadtrates existiere. Das sei erst recht kaum verständlich, weil es für die Anordnung des Monitorings keine ausreichenden gesetzlichen Grundlagen gegeben habe.

*Der TA präzisiert an dieser Stelle, dass die von der Sicherheitsdirektion angeschaffte Software ausschliesslich zum Zweck der Strafverfolgung zum Einsatz kommt, wenn die strafprozessrechtlichen Bedingungen dafür erfüllt sind. Es ist eine vorgängige Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich, welche das Zwangsmassnahmengericht genehmigen muss. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

 

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