Eine Stadtregierung wird grilliert

 

Am Samstag, 15. Oktober 2016, in der NZZ zu lesen:

Dauerkritik an den Behörden in Bülach


Etwas ist faul in der Stadt Bülach. So sehen es die bürgerlichen Parteien. Sie werfen dem – notabene ebenfalls bürgerlichen – Stadtrat Führungsschwäche und Inkompetenz vor. Das Klima ist vergiftet.


Das Wappen von Bülach macht stutzig: Auf blutrotem Grund erhebt sich ein silberner Grillrost. Die Wappenkunde klärt auf: Der Rost steht für das Martyrium des heiligen Laurentius. Langsam und qualvoll wurde der Kirchenmann im 3. Jahrhundert auf dem glühenden Grill geröstet – als Strafe dafür, dass er den Kirchenschatz seiner Gemeinde an Arme und Aussätzige verteilte, anstatt ihn dem Kaiser auszuhändigen.

1700 Jahre später wird wieder grilliert. Auch heute geht es um Geld, das nach Ansicht mancher falsch ausgegeben wurde. Auf dem Rost liegen nun aber der siebenköpfige Stadtrat von Bülach und Teile der Verwaltung. Chef-Grilleure sind die bürgerlichen Parteien, SVP und FDP, sowie die Bürgerbewegung BSB («Beobachter Stadt Bülach»). Vor allem Letztere heizt den Behörden im Hauptort des Zürcher Unterlands seit Jahren ein, brandmarkt sie als inkompetent und verschwenderisch.

Seit zehn Jahren vertröstet

Nun hat der Konflikt eine neue Eskalationsstufe erreicht. Auslöser sind hohe Kosten für die Informatik in der Stadtverwaltung. 2,5 bis 3 Millionen Franken hat Bülach in den letzten Jahren im Schnitt für die IT ausgegeben. «Zu viel», ärgern sich die Bürgerlichen. In mehreren Anläufen versuchten sie, im Stadtparlament Klärung zu erhalten. «Vergeblich», sagt der Bülacher FDP-Präsident Jürg Rothenberger. «Seit zehn Jahren fordern wir Antworten, immer wieder wurden wir vertröstet.»

Darum haben die Parteien jetzt zu einem aussergewöhnlichen Mittel gegriffen. Sie reichten beim Bezirksrat Bülach eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Stadtrat ein. Dass Parteien zu diesem Instrument greifen, ist äusserst selten. Auf Anfrage mag man sich beim Bezirksrat an keinen vergleichbaren Fall erinnern.

Die Vorwürfe, die FDP, SVP und BSB in den Raum stellen, haben es in sich. Die Parteien sprechen von einem «Scherbenhaufen in der Informatik-Infrastruktur der Stadt», von einem «IT-Debakel sondergleichen», von «Kosten, die komplett aus dem Ruder gelaufen» seien. Seit 1996 habe die Stadt mit derselben Informatik-Firma zusammengearbeitet. Sie habe sich dadurch abhängig gemacht. Die Firma habe Rechnungen «nach Belieben» ausstellen können – ohne dass sie vom Stadtrat oder von der Verwaltung gezügelt worden wäre.

Horrende Summen

«Im Prinzip wäre das ein Fall für eine parlamentarische Untersuchungskommission, für eine PUK», sagt Rothenberger. Nur sei diese Möglichkeit in der Bülacher Gemeindeordnung nicht vorgesehen. Darum nun also die Aufsichtsbeschwerde.

Konkret verlangen die Parteien eine externe Revision für die Zeit von 2006 bis 2015. «Wir müssen dem Stadtrat auf die Finger schauen», sagt der FDP-Präsident. Es gehe um Millionenbeträge. Für eine Kleinstadt wie Bülach mit rund 20 000 Einwohnern seien es horrende Summen.

Noch deutlicher wird die BSB. Die umtriebige Bürgerbewegung mischt Bülach seit ihrer Gründung vor drei Jahren mit bissiger Dauerkritik auf. Sie verteilt Flugblätter, legt den Finger in von ihr diagnostizierte Wunden. Pikant: An ihrer Spitze stehen zwei Altstadträte, Bruno Wermelinger und Wilfried Meier. Sie haben den Kurs der Regierung in den 1990er Jahren zumindest mitgeprägt. «Wir waren stets kritisch, konnten uns aber nicht durchsetzen», sagt Wermelinger heute. Was die IT betreffe, sei der Glaube an die damals moderne, EDV-gesteuerte – sogenannt wirkungsorientierte – Verwaltungsführung schlicht zu gross gewesen. Das heutige «Debakel» sei die Quittung dafür.

Das Problem in Bülach ortet Wermelinger im Grundlegenden. «Der Stadtrat führt nicht», sagt er. Er produziere vielmehr eine Fehlleistung nach der anderen. Der Altstadtrat erwähnt eine Affäre aus dem Jahr 2013. Damals liess die Stadtregierung Vertreter der BSB von einem externen PR-Büro durchleuchten, um Strategien gegen die aufmüpfige Gruppierung zu entwickeln. Das legale, aber umstrittene Monitoring wurde öffentlich; der Skandal war perfekt.

Zur Kündigung aufgefordert

Die Aufsichtsbeschwerde gegen den Stadtrat sei in diesem Kontext zu sehen, sagt Bruno Wermelinger. Es sei auch ein Misstrauensvotum gegenüber den Behörden. Auf ihrer Website geht die BSB noch weiter. In einem kürzlich veröffentlichten Beitrag macht sie den Leiter der Stadtverwaltung, den Stadtschreiber, zum Hauptverantwortlichen der angeblichen Probleme im IT-Bereich. Er habe Verträge zuungunsten der Stadt abgeschlossen. Verträge, «die einseitiger nicht sein könnten». Und weiter: «Nur böse Menschen denken hier über eine mögliche Begünstigung nach.» Die BSB fordert den Verwaltungschef zur Kündigung auf.

Die Beschwerde an den Bezirksrat soll demnach auch klären, «ob bei der Informatik Regelungen des öffentlichen Beschaffungswesens verletzt worden» seien. Und auch, ob der Stadtrat sich immer an seine Finanzkompetenzen gehalten habe.

Der Bülacher Grill ist also voll aufgeheizt. Stadtpräsident Mark Eberli (evp.), der erst seit 2014 am Ruder ist, versucht, die Flammen klein zu halten. Von einem «IT-Debakel» könne man nicht sprechen, sagt er. Von einer «Katastrophe», wie dies die bürgerlichen Parteien täten, schon gar nicht. Festhalten will er, dass die IT in den Bülacher Amtsstuben in den vergangenen Jahren stets sehr gut funktioniert habe.

Gespräche torpediert

Die harten Vorwürfe kontert Eberli deutlich: «Es wurde niemand begünstigt.» Die BSB würde Dinge behaupten, aber nicht konkret darlegen. Wie zu allen anderen Anschuldigungen werde der Stadtrat nun dem Bezirksrat Antworten liefern. Da es sich dabei um ein laufendes Verfahren handle, könne er über Einzelheiten im Moment keine Auskunft geben. Nur so viel: dass die bürgerlichen Parteien eine Aufsichtsbeschwerde einreichten, sei «schade» und «sicher nicht sehr angenehm» für die Behörden. Gespräche und eine vertiefte Analyse, die zu diesem Thema im Parlament vorgesehen waren, würden dadurch «torpediert». Der Stadtrat hat sie vorerst auf Eis gelegt.

Was Stadtpräsident Eberli erstaunt: Dass die heftige Kritik ausgerechnet von bürgerlicher Seite kommt. Fünf von sieben Stadträten sind FDP- oder SVP-Mitglieder. Das Bülacher Stadtparlament ist seit Jahrzehnten bürgerlich dominiert. «Diese Situation finde ich schon sehr speziell», sagt Eberli. «Sie hat leider viel mit dem politischen Klima in unserer Stadt zu tun.»

Vielleicht ergeht es dem angegriffenen Stadtpräsidenten nach der Behandlung der Aufsichtsbeschwerde am Ende ja wie dem Stadtheiligen von Bülach, dem heiligen Laurentius. Noch auf dem sengend heissen Grill soll dieser dem Kaiser, der ihn verurteilt hatte, zugerufen haben: «Du armer Mensch, mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir aber bringt es ewige Pein.» Bis der Bezirksrat über weitere Schritte entscheidet, kann es aber noch Monate dauern. So lange bleibt im politischen Bülach Feuer im Dach.

Quelle: http://www.nzz.ch/zuerich/dauerkritik-an-den-behoerden-in-buelach-eine-stadtregierung-wird-grilliert-ld.122175


Kommentar der BSB zum NZZ-Artikel

Was die NZZ schreibt ist richtig. Die generelle Kritik liegt aber nicht nur am IT-Skandal. Dazu gehören unter anderem auch:

  • Der unsinnige und unnötige Bau der Ifangstrasse für 10 Millionen Franken Steuergeldern.
  • Die Unterschutzstellung der Fassade des Giessereigebäudes, das von Niemandem ausser dem Stadtrat gewollt und abgesegnet ist
  • Die vom Stadtrat erlassenen Schuldobergrenzen etc., die er im Finanzplan bedenkenlos um bis zu 50 % überzieht und die Steuerzahler glauben macht, Bülachs Finanzen seien im Lot
  • Die Verweigerung des Stadtrates, sein selbst erlassenes und nicht zu Ende gedachtes Gesamtverkehrskonzept dem Parlament zu Genehmigung zu unterbreiten. Das GVK gibt keine Antwort auf die Verkehrsprobleme angesichts des gewaltigen Wachstum von Bülachs Regionalzentrum
  • Die Aufblähung der Verwaltung, dessen Arbeit aber dennoch von immer mehr teuren auswärtigen Büros erledigt wird
  • Die riesigen Investitionen für den Sport an falschen dezentralen Standorten anstelle der seit 15 Jahren angedachten zentralen Sport-Infrastruktur in Hagenbuechen
  • Die zahlreichen teuren Provisorien für Asylantenunterkünfte, die Verwaltungsbüros und den Sport, weil die richtigen Projekte nicht zügig umgesetzt werden.

Der Stadtpräsident sagt der NZZ, die BSB als politische Bewegung und die bürgerlichen Parteien würden keine konkreten Angaben zur Kritik machen. Der geneigte Bürger, die geneigte Bürgerin mögen all die seit drei Jahren veröffentlichten Stellungnahmen auf der BSB-Homepage lesen und selbst beurteilen, ob nicht genug Konkretes geäussert wurde. Die BSB-Exponenten haben viele Stunden mit dem hochanständigen und sympathischen Stadtpräsidenten zusammengesessen, doch, leider sind wir zur Erkenntnis gekommen, dass er sich im Exekutivgremium kaum durchsetzen kann.


 

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